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Kontemplation (contemplatio)

Die Kontemplation ist der letzte Schritt der lectio divina. Du hast während der [Lesung] Gottes Wort an dich gehört. In der [Meditation] hast du dieses Wort aufgenommen, und im [Gebet] hast du darauf reagiert.

Das Gebet ist nun zu Ende; du merkst, dass es nichts mehr zu sagen gibt. Statt nun zur Tagesordnung überzugehen, bleibe einfach sitzen. Gott ist da. Vielleicht spürst du ihn, vielleicht auch nicht. Aber du bist bei ihm, und er ist bei dir.

Sören Kierkegaard (1813-1855) beschreibt den Übergang zur Kontemplation folgendermassen:

Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde, was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist: Ich wurde ein Hörer. Ich meinte erst, Beten sei Reden. Ich lernte aber, daß Beten nicht bloß Schweigen ist, sondern Hören. So ist es: Beten heißt nicht, sich selbst reden hören. Beten heißt: Still werden und still sein und warten, bis der Betende Gott hört. 1

Die vorüberziehenden Gedanken

So sei einfach still. Sei dir der Gegenwart Gottes bewußt. Selbst wenn du nichts empfindest, ist dies nie eine verlorene Zeit. Gott sieht dich, und seine heilige Gegenwart verändert dich.

Aber natürlich dauert es nur Sekunden, bis dich irgendwelche Gedanken ablenken: Gedanken an die Aufgaben des Tages, Gedanken an deine Gesundheit, an deine Familie, usw.

Wie gehst du mit diesen Gedanken um? Versuchst du, sie zu verdrängen, erreichst du nur das Gegenteil: du schenkst ihnen deine Aufmerksamkeit, und wirst sie damit ganz sicher nicht los.

In der Kontemplation geht es ganz einfach darum, in der Gegenwart zu sein. Sei einfach hier, in der Gegenwart Gottes. Nicht in der Zukunft, nicht in der Vergangenheit.

Gott ist in diesem Augenblick, hier. Du bist jetzt, in diesem Augenblick, hier. Jeder Gedanke, der darüber hinaus in dir auftaucht, versucht, dich aus der Gegenwart in die Vergangenheit oder in die Zukunft zu ziehen. Wie dich gestern dein Kollege geärgert hat. Oder was du gleich nach der Gebetszeit als erstes tun musst.

Aber während dieser Zeit ist all das absolut nicht wichtig. Da geht es nur darum, in der Gegenwart zu sein. Genau an dem Punkt zu sein, an dem Gott gerade ist, an dem er dir begegnen wird. Hier sein, in der Gegenwart Gottes.

Wenn mir während der Meditation solche ablenkende Gedanken kommen, dann hilft mir folgendes Bild: ich stelle mir vor, dass meine Gedanken wie Blätter auf einem Fluss an mir vorbeitreiben. Wenn ein Gedanke auftaucht, nehme ich ihn zwar wahr, aber ich lasse ihn einfach vorüberziehen. Das Wichtige ist, dass ich den Gedanken nicht festhalte, dass ich mich mit ihm nicht weiter beschäftige. Ich lasse ihn einfach vorbeiziehen, schau ihm nicht nach, und wende meine Aufmerksamkeit ganz ruhig wieder der Gegenwart Jesu in mir zu.

Ärgere dich nicht über die Gedanken, ärgere dich nicht über dich selbst. Dann ist es sehr einfach und entspannt möglich, deine Gedanken immer wieder Gott zuzuwenden, ohne jeden Krampf.

Vielleicht kommen dir in dieser Zeit 10 oder 100 oder 1000 verschiedene Gedanken. Nimm es einfach hin, akzeptiere es; das ist einfach so. Und wenn das so ist, dann wende deine Gedanken eben 10 oder 100 oder 1000 mal wieder Gott zu.

Das Unbeschreibbare beschreiben

Was dort in der Stille geschieht zwischen Gott und dir, das ist ganz schwer zu beschreiben. Im Internet fand ich den Bericht eines Journalisten, der Mutter Theresa interviewte2.

Er fragte sie: “Mutter Theresa, Sie beten jeden Tag so viel. Was reden Sie eigentlich die ganze Zeit mit Gott?”

Sie antwortete: “Ich rede nicht – ich horche.”

Der Journalist: “Aha. Und was sagt Gott Ihnen?”

Mutter Theresa daraufhin: “Auch er redet nicht. Auch er horcht.” Und dann fügte sie entschuldigend hinzu: “Wenn Sie das nicht verstehen können: ich kann es Ihnen leider nicht erklären.”

In dieser Geschichte wird beschrieben, was in der Kontemplation geschieht. Die Stille ist nicht leer. Sie ist unglaublich dicht, sie ist gefüllt mit der Anwesenheit Gottes. Das kannst du nicht wirklich verstehen; du kannst es nur ausprobieren.

Eine weitere Geschichte, die das Unbeschreibbare beschreiben will:

Ein Pfarrer wunderte sich, dass in seiner Kirche ein Bauer immer ganz lange saß und betete. Dieser einfache Mann ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.

Eines Tages hielt er es nicht mehr aus. Er ging zu ihm und sagte: “Guter Mann, sagen Sie: was beten Sie eigentlich die ganze Zeit?” Darauf sagte der Bauer: “Ich schaue Gott an, und Gott schaut mich an.”3

Das ist alles. Kontemplation ist nicht wirklich zu beschreiben; du musst es erleben. Aber dafür kannst du nicht mehr tun, als dich vorzubereiten. Als dich Gott zur Verfügung zu stellen. Bei ihm zu sein, ihn bei dir sein zu lassen. So, wie zwei Verliebte zusammen sind, ohne große Worte zu machen. Einfach da sein und warten, was geschieht.

lectio divina - ein Weg

Damit haben wir das Ende dieses Weges erreicht, den uns die lectio divina aufzeigt. Er bestand aus 4 Schritten:

  1. Lesung (lectio)
  2. Meditation (meditatio)
  3. Gebet (oratio)
  4. Kontemplation (contemplatio)

Wenn du die ersten 3 Schritte mitgegangen bist, dann möchte ich dich ermutigen, dich auch noch auf die Stille der Kontemplation einzulassen. Für viele von uns wird das wahrscheinlich die eigenartigste Form des Gebets sein, die sie jemals versucht haben. Aber diese tiefe Begegnung mit Gott zu erleben, das hat mein Leben, meinen Glauben, mein Bild von Gott unglaublich bereichert.

Also: wage es, lass dich auf diese Gottesbegegnung ein. Die lectio divina führt dich Schritt für Schritt. Sie macht es dir leicht. Und wie immer: für Antworten auf deine Fragen stehe ich dir sehr gerne zur Verfügung.



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Quellen:

Titelbild: unter Verwendung eines Fotos von [Priscilla Du Preez (Unsplash)]

  1. Richard Reschika: Praxis christlicher Mystik. Einübungen - von den Wüstenvätern bis zur Gegenwart. Freiburg Br., Basel, Wien: Herder (Herder-Spektrum, 5851), 2007. (S. 169) 

  2. Die Quelle habe ich mir leider nicht notiert. Sorry. 

  3. Diese Geschichte habe ich irgendwann in meiner Jugend gehört, und sie ist so einfach, dass ich sie nie vergessen habe. Ich habe von ihr das Wesen der Kontemplation besser verstanden als durch alle Bücher, die ich über sie gelesen habe.