post picture

[Dies ist der zweite Teil eines mehrteiligen Posts.]

Darum geht zu allen Völkern und macht die Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. (Mt. 28, 18-20; NG)

Im [ersten Teil dieser Post-Serie] habe ich berichtet, dass ich den sogenannten “Missionsbefehl” mein ganzes Leben lang falsch verstanden habe. Folge davon war jedes Mal ein schlechtes Gewissen, sobald diese Bibelstelle irgendwo auftauchte. Das änderte sich erst als ich sah, was Jesus wirklich von seinen Nachfolgern will. Er sagt nicht: “Macht die Menschen zu Christen”, sondern: “Macht die Menschen zu meinen Jüngern”.

Natürlich stellt sich sofort die Frage, ob Christ und Jünger nicht dasselbe ist. Nun: zur Zeit des Neuen Testaments war das so. Aber das Verständnis des Wortes Christ hat sich in den vergangenen 2000 Jahren geändert. So schauen wir uns die Worte Christ und Jünger einmal etwas genauer an.

1.1 Was ist ein Jünger

Was war zur Zeit Jesu eigentlich ein Jünger? Es ist nicht das, was wir heute umgangssprachlich unter einem Christen verstehen.

Ein Jünger war viel mehr als nur ein Schüler oder ein Lehrling. Vom Anfang seiner öffentlichen Wirksamkeit an hat Jesus Jünger berufen. Zwei Beispiele:

Als Jesus am See von Galiläa entlangging, sah er zwei Fischer, die auf dem See ihre Netze auswarfen, Simon und seinen Bruder Andreas. Jesus sagte zu ihnen: »Kommt, folgt mir nach! […]« Sofort ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm. (Mk. 1, 16-18; NG)

Als er weiterging und am Zollhaus vorbeikam, sah er dort Levi sitzen […]. Jesus sagte zu ihm: »Folge mir nach!« Da stand Levi auf und folgte Jesus. (Mk. 2, 14; NG)

Die Evangelien berichten immer wieder von diesen Berufungen.1

Dieser Satz: “Folge mir nach!” war nicht einfach die Aufforderung, Schüler Jesu zu werden. Hätte Jesus Schüler gewollt, dann hätte er für sie am Sabbat in der Synagoge Plätze in der ersten Reihe reserviert, damit sie seine Predigt gut mitkriegen. Oder er hätte eine Schule gegründet, eine Akademie, wie das damals bei den Griechen schon lange üblich war2. Da wären seine Schüler zu ihm gekommen, und er hätte ihnen Vorträge gehalten.

Aber Jesus wollte mehr als Schüler. Er wollte ihnen nicht nur Wissen vermitteln: er wollte Jünger aus ihnen machen. Dieses Konzept war absolut zentral für sein Wirken. Und so kommt das griechische Wort für Jünger, μαθητής (mathetés), im Neuen Testament ganze 281-mal vor. Das gesamte Wirken Jesu baute auf der Idee der Jüngerschaft auf. Dabei hat Jesus das Konzept der Jüngerschaft nicht selbst erfunden. Es war zu seiner Zeit durchaus üblich. Schon im fünften Jahrhundert vor Jesus beschrieb der griechische Historiker Herodot das Verhältnis von Jüngern zu ihren Meistern.3

Jesus wollte also mehr als Schüler; er wollte Nachfolger, Jünger.

1.2 Jünger sein kostet

Schauen wir uns den Unterschied zwischen einem Jünger und einem Schüler noch etwas genauer an. Wir sehen es an Simon, Andreas, Levi und all den anderen, die Jesus berufen hatte: Sie trafen sich nicht täglich für drei Stunden mit Jesus und hörten seinen Lehren zu. Nein, sie ließen buchstäblich alles stehen und liegen und folgten Jesus, wo immer er hinging.

Die Jünger mussten ihre eigenen Pläne loslassen. Um Jesus zu folgen, ließen sie ihr ganzes Leben zurück: alles, was sie sich aufgebaut hatten, ihre Geschäfte, ihre Familien. Ein Jünger zu werden war damals also ein sehr radialer Schritt.

Warum war das so? Das hängt damit zusammen, wie ein Jünger ausgebildet wurde. Jesus lehrte seine Nachfolger, indem er sein ganzes Leben mit ihnen teilte. Er reiste mit seinen Jüngern, er aß mit ihnen, und wohnte mit ihnen zusammen. 24 Stunden am Tag lernten die Jünger, ihren Meister bewusst nachzuahmen.

Und genau das wollte ein Jünger, dafür hatte er alles verlassen. Er wollte so viel wie möglich von seinem Meister lernen, und dafür machte er möglichst alles nach, was sein Meister tat.

Wie weit das gehen konnte, dafür gibt es ein schönes Bild. Erinnerst du dich an die Geschichte, als die Jünger allein im Boot sitzen, und dann sehen sie Jesus auf dem Wasser auf sich zukommen? Petrus, der wagemutigste der Jünger, versucht sofort, das zu tun, was er Jesus tun sieht. Er tritt aus dem Boot heraus, um ihm entgegenzugehen, und Jesus kann ihn gerade noch packen, bevor er untergeht. Das ist für mich ein Beispiel, wie ernst Petrus seine Entscheidung nahm, Jesus als Vorbild nachzueifern. Alles von ihm zu lernen.

Das also ist ein Jünger: Jemand, dessen Fokus, dessen Aufmerksamkeit vollkommen auf seinen Meister gerichtet ist.

Da Jesus heute nicht mehr als Mensch auf dieser Erde lebt, bedeutet Jünger zu werden für die meisten nicht mehr, dass sie dafür alles verlassen müssen. Aber die Herausforderung für uns wird dadurch nicht wirklich kleiner. Auch für uns gilt: wenn wir Jünger Jesu sein wollen, muss unser Fokus, unsere Aufmerksamkeit vollkommen auf unseren Meister gerichtet sein. Unser Lebensziel ist dann, Jesus möglichst genau zu imitieren.

Im “Missionsbefehl” spricht Jesus genau diese Menschen an: Seine Jünger. Ihre Aufgabe ist es, anderen zu helfen, ebenfalls seine Jünger zu werden.

1.3 Christ

Am Anfang habe ich gesagt: Ein Jünger ist nicht das, was wir heute umgangssprachlich unter einem Christen verstehen. Schauen wir uns also einmal an, wie das Wort “Christ” entstanden ist, was das Wort ursprünglich bedeutete, und wie sich seine Bedeutung im Lauf von 2000 Jahren geändert hat.

Zunächst einmal: Während “Jünger” über 280-mal im Neuen Testament vorkommt, gibt es dort nur dreimal das Wort Christ.4 In der Apostelgeschichte wird berichtet, wie das Wort entstand:

26 […] In Antiochia nannte man die Jünger zum ersten Mal Christen. (Apg. 11, 26; EÜ)

Am Anfang steht also das Jüngersein. Und nachdem die Leute gesehen hatten, wie sehr das Leben der Jünger von Jesus geprägt wurde, dass sie ein Spiegelbild des Christus waren, nannten sie die Jünger Christen.

Zu der Zeit war Christ also noch dasselbe wie ein Jünger. Aber ist das heute immer noch so?

In den Großkirchen wird als Christ bezeichnet, wer (in der Regel) als Baby getauft wurde. Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) schreibt zum Beispiel: “Christen werden heute alle Menschen genannt, die auf den Namen Jesus Christus getauft sind.”5

Bei uns in den Freikirchen setzt das Christsein immerhin eine einmalige Entscheidung für Jesus sowie die Taufe voraus. Aber auch unser Verständins ist weit entfernt von dem, was im neuen Testament ein Jünger ist.

Die Taufe ist gut und richtig. Jesus selbst sagt, dass wir taufen sollen. Er hat sich sogar selbst taufen lassen. Aber wenn wir sagen: “Ein Christ ist jemand, der getauft ist”, dann haben wir ein komplett anderes Verständnis des Wortes “Christ” als die Menschen im neuen Testament.6

Der Autor Justin Gravitt macht das Problem deutlich:7

[Das Wort “Christ”] ist heute eher ein Begriff des Glaubens als des Verhaltens. Es bezeichnet nicht mehr jemanden, der wie Jesus aussieht und handelt, sondern wird eher für jemanden verwendet, der die Lehren des Christentums intellektuell akzeptiert hat. Statt an ihren Taten erkannt zu werden, ist der Christ von heute jemand, der Jesus als seinen persönlichen Erlöser angenommen hat und sich mit der christlichen Religion identifiziert.

Was bedeutet das alles nun für unser Verständnis des “Missionsbefehls”?

Es war offensichtlich nicht Jesu Ziel, dass seine Jünger andere zu einer “Lebensübergabe” führen, wie das in vielen Gemeinden genannt wird. Er will, dass wir selbst Jünger sind, Christen im ursprünglichen Sinn. Und dass wir Menschen helfen auf dem Weg, selbst Jünger des Christus zu werden.

Im nächsten Post schauen wir uns an, wie Jesus sich das genau vorstellt.

Bis dahin. Sei gesegnet!



Wenn du über neue Artikel auf meinem Blog informiert werden willst, abonniere doch meinen kostenlosen Newsletter. Ich gebe deine Daten an niemanden weiter. Und Du kannst ihn jederzeit wieder abbestellen. Versprochen.

 

Quellen:

Eber2002
Jochen Eber - [Die Katechese der Alten Kirche: Eine Einführung; ihre Bedeutung für die Gegenwart]; abgerufen 2021-09-17.

Gravitt
Justin G. Gravitt - [What’s the Difference? Christian vs. Disciple]; abgerufen 2021-09-17.

EKM2005
Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) - [J wie Jünger], 2005-06-16; abgerufen 2021-04-20

Titelbild: Lyricmac at [English Wikipedia]. [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons.

Fussnoten:
  1. Weitere Stellen: Mt. 8, 22; Mt 9, 9; Mt. 16, 24; Mt. 19, 21; Mk 2, 14; Mk 8, 34; Mk. 10, 21; Lk. 5, 27; Lk. 9, 23; Lk. 9, 59; Lk. 18, 22; Joh. 1, 43; Joh. 12, 26; Joh. 21, 19; Joh. 21, 22 

  2. Der griechische Philosoph Platon gründete im vierten Jahrhundert vor Christus in Athen die erste Akademie, in der er seine Philosophie lehrte. 

  3. vgl. Gravitt 

  4. Apg. 11, 26; Apg. 26, 28; 1. Petr. 4, 16 

  5. EKM2005 

  6. Heutzutage kommt oft erst die Taufe, und danach lernt der junge Christ dann mehr oder weniger zufällig die Grundlagen des Glaubens und Lebens. Das war zur Zeit der ersten Christengemeinden noch anders. Da gab es das sogenannte Katechumenat. Das war eine Zeit der Ausbildung, bevor jemand getauft werden konnte. Dabei ging es nicht nur um Wissen, sondern auch um das praktische Leben. Der Lebenswandel der Taufbewerber wurde während dieser Zeit genau beobachtet. Erst nach dieser zum Teil mehrjährigen Ausbildungszeit durften die Bewerber getauft werden und am Abendmahl teilnehmen. (Siehe Eber2002, v.a. “Kapitel 2.2 Katechumenat und Katechese in den ersten drei Jahrhunderten”.) 

  7. Gravitt (eigene Übersetzung)