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In den letzten Monaten stoße ich bei meinen Streifzügen durch die Weiten des Internets immer wieder auf ein Wort, das zumindest in meiner Wahrnehmung sonst kaum aufgetreten ist: das Wort “Klage”. Das erste Mal fiel es mir auf in einem Artikel zu den Gebeten in unseren Gottesdiensten. Der Autor fragte sich: warum kommt das Klagen bei uns eigentlich kaum vor, während die Klagepsalmen unter der Gesamtheit der Psalmen einen so breiten Raum einnehmen?

Ich glaube es ist eines der Kennzeichen unserer Zeit, dass wir Möglichkeit und Realität des Leids gerne verdrängen. Aber das war nicht immer so. Vor ein paar Tagen hab ich mir im Paderborner Dom einige barocke Grabmäler angeschaut. Sie fallen durch die drastische Darstellung des Todes auf. Aber direkt daneben zeigen sie oft auch das pralle Leben. Die Menschen in der Barockzeit gingen offensichtlich sehr bewusst mit Leid und Trauer um, genauso wie mit den Freuden des Lebens.

Auch für das Alte Testament gehören Klage und Freude zusammen. Der Autor des Buches Kohelet (Prediger) drückt das unnachahmlich aus:

Alles hat seine Stunde.
Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit:
eine Zeit zum Gebären / und eine Zeit zum Sterben,
eine Zeit zum Pflanzen / und eine Zeit zum Ausreißen der Pflanzen,
eine Zeit zum Weinen / und eine Zeit zum Lachen,
eine Zeit für die Klage / und eine Zeit für den Tanz;
eine Zeit zum Umarmen / und eine Zeit, die Umarmung zu lösen,
eine Zeit zum Suchen / und eine Zeit zum Verlieren.1

Es ist natürlich klar: Trauer, Klage und ganz allgemein dem Leid versuchen wir auszuweichen. Wir neigen dazu, wegzuschauen. Solch negative Emotionen wollen wir nicht an uns heranlassen. Und doch wissen wir, welche Folgen es haben kann, negative Erlebnisse einfach nur zu verdrängen.

Gestern fand ich ein Beispiel, wie jemand anders mit seiner Trauer umgegangen ist. Mark Vroegop schreibt in Waiting on the Lord Is Not a Waste:2

Einer meiner Lieblingsplätze für die Klage ist der Friedhof, auf dem unsere totgeborene Tochter begraben ist. Ich werde nie das Gefühl des tiefen Verlusts vergessen, als ich mitten im Winter einen kleinen Sarg in die kalte Erde stellte. Von ihrem Grab wegzugehen war eines der schmerzhaftesten Dinge, die meine Frau und ich je erlebt haben. Man sollte meinen, dass ich bei den schmerzlichen Erinnerungen, die mit diesem Ort verbunden sind, nie mehr dahin zurückkehren möchte. Aber das Gegenteil ist der Fall.

Auf dem Grabstein unserer totgeborenen Tochter Sylvia sind die Worte “Gesegnet sei der Name des Herrn” aus Hiob 1,21 eingraviert. Die Worte sind ein kleiner Protest gegen die Tragödie des Todes. Sie sind ein Gedenken daran, dass wir den Herrn anbeten werden, selbst wenn wir dem Tod ins Auge sehen. Ich habe unter Tränen über diesem Grab gestanden und gesagt: “Das ist noch nicht vorbei! Eines Tages wird Jesus das alles wieder gutmachen.” Deshalb liebe ich es, zu diesem Grab zurückzukehren, denn es ist eine ständige Erinnerung daran, dass der Herr mir nicht nur in den Jahren der Trauer und des Schmerzes seine Fürsorge erwiesen hat, sondern dass auch der Tag kommt, an dem die Gräber geleert werden und der Tod besiegt sein wird.

Und er schließt:

Wehklagen kann unsere Herzen auf einen zukünftigen Sieg ausrichten. Durch die Tränen können wir immer noch glauben, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

Dieser Umgang mit Trauer und Klage ist das Gegenteil von Verdrängung. Mark Vroegop stellt sich dem Schmerz, und damit steht er auf gegen das Leid. In der alten Tradition der Psalmen stellt er dem Leid trotzig eine Hoffnung entgegen, gegründet in seinem Glauben an den Christus, der den Tod besiegt hat.

Vielleicht würde es uns guttun, uns häufiger dem Leid in unserem und dem Leben unserer Mitmenschen zu stellen und ihm entschlossen unser “und trotzdem …” entgegenzustellen. Und damit dem Leid, dem Tod nicht das letzte Wort zu überlassen.



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Quellen:

Titelbild: Lamentation in Memory of Ernst Barlach, by Kathe Kollwitz, cast after 1938, bronze - Currier Museum of Art - Manchester, NH. Public Domain, [commons.wikimedia.org]

  1. Auszug aus: Prediger 3, 1-8; Einheitsübersetzung 

  2. [crossway.org]