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Zulassen, geführt zu werden

Im vorigen Artikel [vorigen Artikel] haben wir in Psalm 23 eine Beschreibung gefunden, wie Gott uns eine neue Perspektive geben kann, indem er unsere Blickrichtung ändert und uns neu ausrichtet. Dieser Artikel baut auf dem von letzter Woche auf.

Eine neue Ausrichtung nutzt nichts, wenn ich mich dann nicht in diese Richtung bewege. Aber wenn ich hungrig, erschöpft und ruhelos bin, dann habe ich kaum die Kraft, zielgerichtet vorwärtszugehen. So beginnt Psalm 23 auch mit dem Bild des Hirten, der mich bildlich gesprochen zuerst auf die frischen Weiden führt: er gibt mir zu essen. Und zum frischen, kühlenden Wasser, an dem ich mich ausruhen kann. Damit gibt er mir die Möglichkeit und die Bereitschaft zu einer weiteren Wegstrecke, die vielleicht anstrengend wird. Und damit ich durchhalten kann, hat er mir noch das Ziel gezeigt, die richtige Perspektive gegeben.

Heute kommt der zweite Schritt.

Er erquickt meine Seele; er führt mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
(Ps. 23, 3; SCH)

“Er führt mich auf rechter Straße”: Nach Rabbi Harold Kushner, den wir beim letzten Mal schon kennengelernt haben, kann diese Aussage besser übersetzt werden durch “Er veranlasst mich, mich auf rechter Straße führen zu lassen.1 Das gibt der Übersetzung einen ganz anderen Schwerpunkt: nachdem ich erfrischt und ausgeruht bin, und eine neue Perspektive gewonnen habe, kann ich mich bewusst dafür entscheiden, etwas von meinem Recht auf Selbstbestimmung abzugeben. Indem ich dem vertraue, der mich führen will.

Gott hat mein Denken und Fühlen also darauf vorbereitet, dass ich weitergehen kann. Ruhe, Erholung und die wiederhergestellte Vision haben dieses Ziel: dass Gott mich weiterführen kann.

Der Psalmist spricht hier aus eigener Erfahrung. Er konnte von sich sagen:

Meine Schritte folgten deiner Spur und kamen dabei nicht zu Fall. (Ps. 17, 5; NeÜ)

Und darum geht es: dass wir uns nicht einfach durch dieses neue Jahr, durch unser Leben treiben lassen. Sondern dass wir auf einem Weg gehen, der sinnvoll ist, uns dem Ziel näher bringt, das uns erfüllt und befriedigt.

Tausend Wege

Hier wird es nun sehr konkret. Täglich liegen tausend Wege vor uns, Entscheidungen, die wir fällen müssen. Wenn wir ehrlich sind, wählen wir oft einfach den leichtesten Weg. Den wir immer schon gegangen sind. Oder der uns bekannt vorkommt. Manche dieser Wege führen uns weiter, aber nicht alle. Und irgendwann schauen wir um uns und wissen nicht mehr weiter.

Ich habe ein anschauliches Bild dafür gefunden, wie wir oft durch unser Leben laufen. Stell dir vor du hast eine Straßenkarte von Deutschland. Jede Autobahn, jede Straße ist eingezeichnet, sogar die ganz kleinen Nebenstraßen und Feldwege. Das Eigenartige an dieser Karte ist nun: alle Straßen sind gleich breit eingezeichnet; du kannst nicht unterscheiden zwischen Autobahn und Feldweg. Auch sonst gibt es keine Orientierung: keine Landesgrenzen, keine Orts- oder Straßennamen. Nur Straßen, Straßen, Straßen. Ein Gewirr von gleich aussehenden Strichen. Die Orientierung, die Suche nach einem Weg durch dieses Labyrinth würde uns zur Verzweiflung treiben.2

In der einen oder anderen Form kennt das wohl jeder von uns: tausend Wege, tausend Möglichkeiten. Aber wohin führen diese Wege? Wenn ich gehe, kann ich ja immer nur wengige Meter im Voraus sehen.

Genau da hinein spricht unser Psalm. Der Hirte sagt: “Ich bin da. Ich habe den Durchblick. Ich werde dich auf dem richtigen Weg führen.”

Die Stimme des Hirten

Und das ist keine nette Theorie - das ist Realität. Wir können das erleben: in unseren Entscheidungen geführt zu werden. Jesus nimmt für uns die Position dieses Führers durch unser Leben ein. Er sagt:

Ich bin der gute Hirte. Ich kenne meine Schafe, und meine Schafe kennen mich. (Joh. 10, 14; NG)

Jesus bezeichnet sich selbst als den Hirten. Er kannte die Psalmen sehr gut, und es scheint mir wahrscheinlich, dass er hier an die Beschreibung des Hirten in unserem Psalm 23 gedacht hat. Seine Aufgabe als Hirte beschreibt er folgendermaßen:

Wenn er alle Schafe, die ihm gehören, aus dem Stall hinausgelassen hat, geht er vor ihnen her, und sie folgen ihm, weil sie seine Stimme kennen. (Joh. 10, 4; nach NG)

Ist das nicht eine steile Aussage: Du kennst Jesus, deinen Hirten. Du weißt, wann er zu dir spricht, denn du erkennst seine Stimme.

Aber dann fallen dir die tausend Stimmen ein, die jeden Tag auf dich einreden. Und du fragst dich: wie kann ich denn sicher sein, dass ich die Stimme meines Hirten höre, und dass es nicht eine andere ist?

Anscheinend ist Jesus sich da ziemlich sicher, denn er sagt weiter:

Einem Fremden werden sie nicht folgen; sie laufen vor ihm davon, weil sie seine Stimme nicht kennen. (Joh. 10, 5; NG)

Ausbildung

Wie so eine Nachfolge aussehen kann, das sehen wir zum Beispiel an Mose. Er wusste, was der Wille Gottes für sein Leben war. Er hatte eine Perspektive. Er war sich so sicher, dass er das komfortable Leben im Palast des ägyptischen Königs verließ, eine glänzende politische Laufbahn, um sich mit seinem versklavten Volk zu identifizieren.

So zog er los und begann, sein Volk zu befreien: er brachte den erstbesten Ägypter um und vergrub ihn im Sand.

Und das ist lächerlich. Dachte er wirklich, so würde sein Volk frei werden? Sein Problem war: er hatte eine Vision, ein Ziel vor Augen. Aber er wusste nicht, wie er es erreichen sollte. So lief er einfach los, nahm er den erstbesten Weg, tat, was ihm gerade einfiel - und hätte damit fast alles kaputt gemacht. So musste er in die Wüste fliehen, und versteckte sich dort 40 Jahre lang.

Hast du eine Ahnung, was deine Berufung ist?

Vielleicht hast du die Vision, Menschen auf ihrem Weg durchs Leben zu begleiten, sie zu unterstützen, ihnen ihnen zu helfen. In praktischen Dingen, oder durch Beratung, oder durch deine Freundschaft. Aber du weißt einfach nicht, wie das gehen soll. Dir fehlen die Connections. Die Aufgaben des Alltags erschlagen dich, und eigentlich hast du nicht einmal die Zeit, deiner Vision zu folgen.

Oder es gibt so einen Rhythmus: du hast eine Idee, beginnst, sie umzusetzen, und scheiterst. Dann versuchst du es mit der nächsten Idee, und scheiterst wieder. Und das Muster wiederholt sich, bis du es kaum noch wagst, wieder etwas Neues anzufangen. Das ist der Effekt, den wir bei den Zielen für ein neues Jahr sehen können: irgendwann verlieren wir den Mut, uns überhaupt noch etwas vorzunehmen. Zu oft sind wir gescheitert.

Was ist die Falle, in die du immer wieder tappst?

Ich kann dir verraten, was meine Falle ist. Ich kenne meine Berufung, meine Begabung zu Lehren. Und so laufe ich manchmal einfach los und stürze mich ins Studieren. Ich lese und lese, bin von einer Idee fasziniert, komme von da zu nächsten, vergrabe mich in irgendwelche tollen Theorien und verliere mich in ihnen. Damit folge ich genau dem Muster, das wir bei Mose sehen: ich kenne meine Berufung, renne los, folge irgendeinem Weg - und lande irgendwo in der Wüste. Aber meinem Ziel bin ich nicht näher gekommen.

Wie ging es mit Moses weiter? Es sah wirklich so aus, als habe er alles verloren. Wahrscheinlich hat auch er selbst es so gesehen. Aber in Wirklichkeit war die Zeit in der Wüste seine Chance. Er war ganz viel allein mit Gott.

Wahrscheinlich hast du es auch schonmal gehört: dass unsere erste und wichtigste Berufung die Beziehung zu Gott ist. Wir neigen dazu, unter unserer Berufung lediglich die Bereiche zu sehen, in denen wir eine besondere Begabung haben. Aber das ist tatsächlich zweitrangig. Die persönliche Beziehung zu unserem Hirten ist das wirklich Wichtige.

Mose begegnete Gott in der Wüste. Gott war sein Lehrer. Er erklärte dem Mose, wie er seinen Auftrag ausführen konnte. Er bildete ihn aus für die Aufgabe, die vor ihm lag, und am Ende führte Mose sein Volk tatsächlich in die Freiheit.

Die Stimme Gottes hören

Was lernen wir aus dieser Geschichte für unser Leben? Wie kannst du die Stimme deines Hirten hören? Wie kannst du sicher sein, dass es wirklich Gottes Stimme ist? Dir kann genau das helfen, was schon Mose geholfen hat.

  • Wenn du allein bist mit Gott, sind die tausend Stimmen ausgeblendet, die dich in die eine oder andere Richtung ziehen wollen.
  • Wenn du allein bist mit Gott, gibt es keinen Raum für deinen Ehrgeiz.
  • Wenn du allein bist mit Gott, werden deine Gedanken nicht von deinen eigenen Wünschen vernebelt.
  • Wenn du allein bist mit Gott, sehnt sich dein Herz nicht nach Anerkennung durch andere.
  • Wenn du allein bist mit Gott, spielt Erfolg und Geld keine Rolle.
  • Wenn du allein bist mit Gott, gibt es nichts als ihn.

Wo immer du allein bist mit Gott: das ist der Ort, seine Führung zu suchen. Dort wirst du die Stimme des Hirten, deines Lehrers hören.

Du kannst seine Stimme hören - wenn du die Bedingungen dafür schaffst. Mein persönlicher Weg dafür ist, mir morgens vor der Arbeit Zeit zu nehmen. Manchmal lese ich zuerst einen Text, manchmal auch nicht. Oder ich mache eine [lectio divina]. Und dann werde ich ganz ruhig, begegne Gott in der Stille.

Wenn ich wegen meiner Seminare unterwegs bin, mache ich es oft so, dass ich mir eine Kirche suche, die geöffnet ist. Kirchen sind Orte, an denen ich sehr schnell ruhig werden und alles andere hinter mir lassen kann.

Ich glaube: das ist das ganze Geheimnis. Mitten im Trubel deines Alltags wirst du es schwer haben, die leise Stimme, die sanften Anstöße wahrzunehmen. Dafür musst du Raum schaffen, in deine eigene Wüste gehen.

Was ist deine Wüste? Manche Menschen haben es erlebt, dass sie auf einmal aus allem herausgerissen wurden. Es gibt immer wieder Berichte von Menschen, die einen Burnout hatten und während dieser Zeit eine komplett neue Richtung für ihr Leben entdeckten.

Aber es braucht keine Burnout. Wüste kann schon da anfangen, wo du dich ganz bewusst einmal aus allem herausziehst, um Zeit für Gott zu haben. Ohne selbst die ganze Zeit zu reden. Schweigen, vielleicht einen Text aus der Bibel lesen, nachdenken, schweigen. Mit Gott reden, zuhören, schweigen. Warten auf Gott. Das Wichtigste dabei: dass du nicht die ganze Zeit redest. Dann kannst du nämlich nicht hören, was er vielleicht sagen will.

Um seines Namens willen

So kommen wir zum Schluss unseres Verses, und der klingt für mich wie ein Paukenschlag.

Er erquickt meine Seele; er führt mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
(Ps. 23, 3; SCH)2

Weisst du, woran ich da sofort denke? An die Babynahrung-Werbung, deren Qualität Firmenchef Stefan Hipp anpreist. Und dann sagt er: “Dafür stehe ich mit meinem Namen.”

Er drückt damit aus: Du kannst mich auf meine Aussagen festlegen. Ich mache meine Glaubwürdigkeit davon abhängig, dass das stimmt, was ich gesagt habe. Ich bin mir bewusst, dass mein guter Name davon beschädigt wird, wenn es nicht der Wahrheit entspricht.

Nun übertrage das einmal auf Gott. Welchen Ruf wird er haben, wenn einer seiner Nachfolger nach dem anderen auf ganzer Linie versagt? Wie färbt das auf Gott ab, wenn wir immer wieder von Christen lesen, die andere missbraucht haben? Wie färbt das auf Gott ab, wenn manche christliche Gemeinden Rassismus und Ausgrenzung leben? Welches Bild entsteht, wenn Christen in den USA einen zynischen, hasserfüllten Präsidenten unterstützten?

Wie wirkt es sich auf Gottes Ansehen in unserer Umgebung aus, wenn wir uns offensiv als Christen bekennen, unser Leben aber eine ganz andere Sprache spricht?

Ich glaube es geht auch anders: wenn wir bereit sind, uns immer wieder neu ausrichten zu lassen. Und uns der Führung anzuvertrauen, die Jesus uns versprochen hat.

Gott will das tun. Er bindet sich an dieses Versprechen. Dafür steht er mit seinem Namen.



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Quellen:

Titelbild: Photo by [Susan Yin] on [Unsplash]

Fußnoten:
  1. What the Psalmist Meant. [beliefnet.com]. Ein Interview mit Rabbiner Harold Kushner über sein Buch “The Lord is My Shepherd: Healing Wisdom of the Twenty-third Psalm”, 2003 11. 

  2. nach: Robert Ketcham - I Shall Not Want. An Exposition of Psalm Twenty-Three. Chicago: Moody Publishers, 1972. Erstveröffentlichung 1953.  2